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Die evangelische Kirche zu Gräveneck

Im Jahr 1352 wurde eine Ritterburg namens Neu-Elkerhausen auf dem steilen Westufer der Lahn gegenüber dem heutigen Ort Gräveneck errichtet. Sie wurde von der Adelsfamilie derer von Elkerhausen erbaut, die sich nach der Zerstörung ihres Stammsitzes im Weinbachtal eine neue Burganlage schufen. Die adeligen Herren, vor allem die Brüder Eckhard, Heinrich und Konrad von Elkerhausen, betätigten sich als Raubritter, die Kaufleute überfielen, die auf der nahe gelegenen Handelsstraße Richtung Frankfurt unterwegs waren. Um ihnen Einhalt zu gebieten, verbündeten sich die Grafen von Nassau-Weilburg, die Grafen von Solms, Johann von Limburg und Dietrich von Runkel gegen die Herren von Elkerhausen. Sie errichteten auf der gegenüberliegenden Lahnseite auf einem hohen Felssporn die Steuerburg, um Neu-Elkerhausen zu zerstören. Dies gelang nicht, weshalb die Steuerburg bereits 1382 wieder abgerissen wurde. Ein weiterer Anlauf führte dann zum Bau von Burg Gräveneck. Diesmal hatten die Herren von Elkerhausen keine Chance: 1396 wurde ihre Burg durch Philipp von Nassau-Saarbrücken und seine Verbündeten zerstört. Nachdem ihr Zweck erfüllt war, wurde auch Burg Gräveneck verlassen und verfiel. Auf ihren Fundamenten, Mauerresten und Kellern wurde ein großes Gut errichtet, vor dem sich nach Osten im Lauf des 15. und 16. Jahrhunderts die heute bestehende Siedlung von Gräveneck entwickelte. Kirchlich gehörte im Mittelalter Gräveneck wie mehrere andere umliegende Orte als soge-nannte „Filiale“ zur Weilburger Kirchengemeinde und wurde von deren Priestern betreut. Auch nach der Einführung des reformierten Glaubens im Jahre 1526 wurde dies beibehalten. Ab 1565 blieb Gräveneck nominell Filiale von Weilburg, wurde aber zumeist vom Weinbacher Pfarrer mitversorgt, der gegen einen festgelegten Obolus (jährlich 10 Gulden und ein Getreidedeputat) alle 14 Tage in der alten Kapelle Gottesdienst hielt. Ab dem Jahr 1608 wurde der Pfarrer von der Weilburger Amtskellerei (Wirtschaftsverwaltung) bezahlt. 1819 wurde die Gemeinde Gräveneck zu Weinbach eingepfarrt. Eine selbständige Pfarrei mit eigenem ortansässigem Pfarrer wurde Gräveneck zusammen mit Wirbelau (vorher Schupbach) und Falkenbach (vorher Seelbach) im Jahre 1953.

Die Baugeschichte

Der Ort Gräveneck lag im Mittelalter und früher Neuzeit näher im Bereich des Lahnfelsens. Es bestand eine kleine Kapelle etwas außerhalb des Dorfes am Weg zur Mühle am damaligen Ortsrand. Das Kirchlein war klein und bot etwa siebzig Personen Platz. Eine erhal-tene Planzeichnung des Grundrisses und des Querschnittes zeigt einen schlichten, im Grundriss rechteckigen Bau mit Satteldach und dreiseitig geschlossenem Altarraum. Während des Dreißigjährigen Kriegs wurden aus der Kapelle ein Marienbild und andere Bilder gestohlen sowie die Glocke geraubt. Da der Bau am Hang lag, und Feuchtigkeit in das Mauerwerk und sogar bis in den Innenraum drang, verschlechterte sich ihr baulicher Zustand im Lauf der Zeit. Bereits im Jahr 1680 beschwerten sich die Grävenecker beim Grafen von Nassau-Saarbrücken über den Zustand ihrer Kapelle. Sie wiesen auch darauf hin, dass sie zum Bauunterhalt nichts leisten könnten, da sie alle arme Bauern und stark mit Frondiensten und Abgaben belastet wären und kaum das Nötigste zum Essen hätten. Außer den dringendsten Erhaltungsmaßnahmen wurde aber kein Geld für eine grundlegende Sanierung aufgebracht. Erst 1775 wurde die Kapelle aufgrund ihres schlechten Zustandes niedergelegt und im fol-genden Jahr mit dem Bau einer größeren Kirche an neuer Stelle begonnen. Zuvor hatte es noch eine Abstimmung aller Einwohner über deren neuen Standort etwas außerhalb des damaligen Dorfes in der Nähe des Friedhofs gegeben. Als Architekt und Bauleiter wurde F. L. Gunkel beauftragt. Seine Bauzeichnungen der Fassade und des Grundrisses sind im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden erhalten.

Dr. Verena Fuchß

Der schlichte, aber noble Architekturstil steht genau an der Grenze zwischen Spätbarock und beginnendem Klassizismus. Nur ein paar Jahre später entstand die ev. Kirche in Kubach, die 1782-84 von dem fürstlichen Baumeister J. L. Leidner geplant und errichtet wurde. Sie weist sehr große Ähnlichkeiten mit dem Grävenecker Bau auf und unterscheidet sich außen und innen in nur wenigen Details, jedoch ist sie fast doppelt so groß. Die Hauptansicht der Bauzeichnung zeigt einen schlichten, quergelagerten Baukörper mit einem hohen Walmdach, der von einem achteckigen Dachreiter mit Zwiebelhaube und kleiner Laterne bekrönt wird. In der Bauausführung wurde jedoch die Laterne – der obere allseitig geöffnete Aufbau mit eigener Bedachung – weggelassen und eine Zwiebelhaube direkt über der Glockenstube errichtet. Das verputzte Gebäude wird durch hohe Rundbogenfenster sowie Pilaster (vertikale, leicht aus dem Baukörper hervorragende Mauerstreifen) gegliedert. Die mittlere Achse der Straßenseite mit dem Haupteingang ist als Risalit (vor die Bauflucht tretender Gebäudeteil) ausgebildet, der mit einem Dreiecksgiebel bekrönt ist. Er wird flankiert durch je ein pilastergerahmtes Rundbogenfenster mit Steingewänden. Zusätzlich sind auch die Gebäudekanten durch Pilaster akzentuiert.

Über dem Rundbogenportal, dessen Tür mit dem halbkreisförmigen Oberlicht erhalten ist, befindet sich ein gerahmtes Inschriftenfeld. Dessen Text wurde ein halbes Jahr vor der Einweihung vom damaligen Superintendent Hahn genehmigt:

CAROLUS NASSOV. WEILBURG PRINCEPS SERENISS.[IMUS]
PATERIAE PATER OPTIMUS
DESTRUCTA VETERIORE RUINAM MINITANTE
HANC AEDEM
DEI T[ER].O[PTIMUS].M[AXIMUS] CULTUI
PUBLICO DICATAM
SUIS QUIPPE SUMTIBUS
ANNO. R. S. MDCCDLXXVII
EXTRUI IUSSIT

Die Übersetzung lautet: "Karl, allergnädigster Fürst von Nassau-Weilburg, bester Landesva-ter, hat die Erbauung dieser Kirche für den öffentlichen Gottesdienst des dreifaltigen allergrößten und besten Gottes, aber auf seine Kosten, im Jahre 1777 angeordnet, weil die ältere Kirche einzustürzen drohte und niedergerissen werden musste."
Am 26. Oktober 1777 wurde die Kirche feierlich eingeweiht, wobei Superintendent Hahn die Predigt hielt. Der Fürst wurde von dessen Weilburger Amtmann Birck vertreten.

Das Kircheninnere

Der Innenraum der Kirche ist ein schlichter Saal mit Voutendecke, in der ein Rahmenprofil einen Deckenspiegel umschreibt. Hohe Rundbogenfenster mit Sprossenteilungen erhellen den Raum. In dessen westlicher Hälfte ist eine große dreiseitige Empore eingestellt, die von achteckigen Holzpfeilern mit einfachen Kapitellen getragen wird. Ein Treppenlauf, der noch seine alten Brettbaluster besitzt, führt hinauf. Unterhalb der Empore ist das Gemeindegestühl mit einfachen zeittypischen Wangen in zwei Blöcken seitlich eines Mittelgangs aufgestellt. Alle hölzernen Ausstattungsobjekte der Kirche bestehen aus Tannenholz, das mit einer Maserung in einem warmen Braunton bemalt wurde. Diese Fassung entstand bei der jüngsten Restaurierung im Jahre 1989/90.

Das östliche Raumdrittel der Kirche ist als Altarbereich ausgewiesen, in dessen Mitte sich der einfache, moderne Tischaltar über einem niedrigen Podest erhebt. Sitzbänke, die durch zwei niedrige Türchen mit geschwungenen Bekrönungen zugänglich sind, erheben sich längs der Wände. Die ursprünglich an der Ostwand hinter dem Altar aufgestellte Kanzel wurde bei der Restaurierung der Kirche an die Südwand versetzt. Der polygonale Kanzelkorb und der Treppenlauf werden durch schlichte vertiefte Felderungen geschmückt. Der Schalldeckel ist das am reichsten geschmückte Ausstattungsteil mit seinen Voluten-schwüngen, die in einem bekrönenden Aufsatz zusammentreffen, während die untere Deckelkante mit einem Schabrackendekor verziert ist. Sparsame Vergoldungen setzen kontrastierende Akzente neben der braunen Holzfarbe.

In der großen leeren Altarwand wurde das ursprüngliche Rundfenster, welches bei einer Sanierung 1954/55 geschlossen worden war, bei der Renovierung wieder geöffnet. Hier wurde 1990 das Glasgemälde eines unbekannten Künstlers eingesetzt. Es zeigt eine Darstellung der drei Marien am leeren Grab Christi. Sie treffen auf einen Engel, der mit der Rechten auf den Grabeingang, mit der anderen Hand in den Himmel weist.

Das Taufbecken

Das Taufbecken ist ein Geschenk der katholischen Gemeinde Grävenecks im Jahre 1989 anlässlich der Fertigstellung der Kirchenrenovierung. Sie besteht aus einer godronierten Schale aus glänzend poliertem Villmarer Marmor, die von einem tuskischen Säulchen aus Rotsandstein und Kalkstein getragen wird, das sich auf einem quadratischen Postament erhebt.

Die Orgel

Als die neue Kirche Grävenecks 1777 eingeweiht wurde, besaß sie zuerst keine Orgel; die Gottesdienstbesucher mussten also auf eine Instrumentalbegleitung des Gemeindegesangs verzichten. In diesen Fällen gab es jedoch einen Vorsänger, der die Lieder anstimmte. Zumeist hatte der jeweilige Dorfschullehrer dieses Amt zusammen mit dem Glöckner- und Küsterdienst inne. Erst 1818 konnte die Kirchengemeinde bei der Schließung der reformierten Kirche von Usingen deren Orgel, die fünf Register besaß, für 350 Gulden ersteigern. Zu diesen Kosten kamen noch die Erweiterung der Empore zur Orgeltribüne sowie die Aufstellung des Instruments durch einen Orgelbauer, so dass die Gesamtausgaben für die Orgel 477 Gulden ausmachten.

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts war diese Orgel jedoch so defekt, dass sich die Gemeinde für die Anschaffung eines neuen Instruments bei dem Orgelbauer Gustav Rassmann (heute Fa. Hardt) in Möttau für den Preis von 1.800,- Mark entschied. Nach einem Umbau im Jahre 1970 besitzt sie heute folgende Disposition: Mixtur 1´, Waldflöte 2´, Gedackt 8´, Salicional 8´, Prinzipal 4´, Subbass 16´. Das Prospekt zeigt einen schlichten dreiteiligen Aufbau mit höherem Mittelfeld. Die rundbogigen Öffnungen für die Pfeifen werden durch Pilaster gerahmt, die hübsche Kapitelle mit vergoldeten Blättern zeigen. Profilierte Gesimse mit einem Fries aus runden Vertiefungen schließen die Prospektfelder am oberen Rand ab.

Geschichte der Kirchenglocken

1777 hatte man die Glocke der alten Kapelle in den Neubau übernommen. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde sie jedoch unbrauchbar, so dass man 1809 den Glockengießer Friedrich Bernhard aus Tiefenbach beauftragte, sie einzuschmelzen und mit dem Metall eine neue Glocke zu gießen. Als man die Glocke jedoch nachwog, betrug deren Gewicht statt der vertraglich geforderten fünfhundert Pfund nur 357 Pfund. Somit war Friedrich Bernhardt gezwungen, sie zurücknehmen, jedoch konnte er sie kurze Zeit später nach Drommershausen verkaufen. Für Gräveneck musste er eine neue Glocke anfertigen. Sie trug die Inschriften:

Friedrich Wilhelm Fürst zu Nassau ließ mich gießen 1808 [!]
Für den Ort Gräveneck von den Gebrüdern Bernhardt in Diefenbach
Goß mich, in Gottes Namen floß ich, mein Laut rufe zu Gottes Ehre, zum Frieden und zur Eintracht.

Diese Glocke nahm bei einem Luftangriff im März 1945 Schaden, so dass man bereits im Juli 1946 Erkundigungen bei der Glockengießerfirma Rincker über den Umguss der Glocke von 1808 und die Anschaffung einer zweiten, kleineren Glocke einzog. Im nächsten Jahr wurde das Projekt umgesetzt, die Gesamtkosten von ca. 2500,- RM wurden durch großzügige Spenden der Gemeindemitglieder getragen. Die größere Glocke (174 kg, Schlagton: dis) trägt die Inschrift:

Ich zähl die Stunden
Ich preise den Schöpfer
Ich rufe Euch!

Rund um den oberen Rand verläuft zusätzlich der Text:

“O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“, zudem
„Gegossen 1809, Neugegossen 1947 durch Gebr. Rincker/Sinn“

Auf der kleineren Glocke (103 kg, Schlagton: fis) steht:

Gib Frieden und Recht
Unsre Schuld vergib
Herr, segne uns!

Als obere Umschrift ist zu lesen:

„Ehre sei Gott in der Höhe“

Quellen und Literatur:

Urkunden und Dokumente Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 121 (1429, Juni 23; 1430, Juli 10; 1493, August 25; 1616, August 6); Abt. 160 Nr. 77; 180

600 Jahre Gräveneck. Motive eines Dorfes und seiner Einwohner im Wandel der Zeit 1395-1995, herausgegeben vom Festausschuss Gräveneck anlässlich der 600-Jahrfeier im Jahre 1995, Gräveneck 1995.

Krupp, Ingrid, Elkerhausen 1191 - 1991, Eine historische Einführung in die 800jährige Ge­schichte von Elkerhausen, in: Heimatbuch Elkerhausen, Biskirchen 1990.

Krupp, Ingrid, Die Geschichte der Herren von Elkerhausen und ihrer Burgen, in: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Gießen, Gießen 1982.

Schmidt, Erwin, Aus der Zeit des Grävenecker Schlosses, in: Land und Leute im Ober­lahn­kreis, Jhg. 1953, Nr. 3.

In dieser Stelle herzlichen Dank an Frau Dr. Verena Fuchß für die Erstellung der Dokumentation.

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